Kontinuierlich am Stück, das ist selten: Annett Gröschner



Zwei große, von Computertechnik besetzte Arbeitsplatten, Bücherregale bis an die weiße Decke, Möbelzitate, Photographien und photographische Arbeiten. Das Zimmer ist hoch, hell, geräumig und wird sich weder heute noch morgen entscheiden müssen, was es denn ist: Wohnstelle, Werkstatt, Kanzlei. Hinter den Fenstern lärmt der Verkehr und stehen Fassaden verlegen herum, viel zu hell für Berlin, mag die Dimitroffstraße jetzt auch Danziger heißen.
Annett Gröschner ist 175 cm groß, von sehr aufrechter Haltung und, wie sie sagt, "noch schlank". Die Augen sind blau und februarfarben im Blick. Sie wäre ein ruhiger Mensch, könne aber auch cholerisch werden: "Aber dann richtig!" Seit den 80ern trägt sie das Haar rot, die Kleidung folgt dem mit schwarzen Grund- und eleganten Rottönen.
Jahrgang 64, wuchs sie in Magdeburg auf, auf einer Elbinsel, dem Werder am Winterhafen. Der Vater war Kälteingenieur, "je nach Lage der DDR mit dem beschäftigt, was es nicht gab und eingefroren werden mußte, Fleisch, Gemüse... am Ende war es Speiseeis". Außerdem achtete er sehr auf ein gepflegtes Hochdeutsch in der Familie. Seine Tochter spricht heute noch so, in mittlerer bis tiefer Tonlage, leicht anberlinert, kontrolliert und gelegentlich unverbunden.
Nach dem Abitur in Magdeburg und einer Zwischenzeit als Ankleiderin am Magdeburger Theater, begann sie 1983 in Berlin mit dem Studium der Germanistik. "Eigentlich, weil ich immer lesen wollte. In der 6ten Klasse wollte ich Sportreporterin werden und an den Kunstschulen habe ich diverse Aufnahmeprüfungen gemacht, im Fach Modegestalterin. Aber eigentlich wollte ich schreiben." Das Ende des Studiums, Anfang 89, fiel mit der Geburt des Kindes zusammen - Friedrich, mittlerweile 9 - "und ich hing etwas in der Luft". Ein Mitte 90 nachträglich begonnenes Forschungsstudium blieb Ž91 in der Evaluierungsmühle hängen: die Dichterin Inge Müller war kein zeitgemäßes Thema mehr und das Studium stand damit vor dem Abbruch. Was noch blieb, war der Austausch an die 68er Gründung St.Denis, Paris VIII: drei Monate direkt und dann als Fernstudium bis zum Diplome dŽEtudes Approfondies D.E.A. - Très bien. "Die haben eine ziemlich starke Germanistik, da sie mit Ost und West zusammengearbeitet haben. Die hatten die beste Bibliothek, die ich je gesehen habe. Es war ideal... Und hier war grad ein Endpunkt erreicht - die Anarchie war vorbei, alles was spannend war. Der neue Kanon hieß, im Osten ist alles Dreck... Da war es gut, die Sache von außen zu sehen, auch mit den Augen der Franzosen."
Das Schreiben fing in der Schulzeit an, mit 15 etwa. "Im nachhinein muß ich meiner stalinistischen Schule dankbar sein: ich mußte zeigen, daß ich das wirklich will. Ich hatte die Wahl, von der Schule zu fliegen oder zum Psychologen zu gehen. Meine Mutter hat das pragmatisch entschieden: Geh doch zum Psychologen, aber mach den Abschluß. Da bin ich ein Jahr beim Psychologen gewesen und habe dumme Fragen beantwort. Ob ich Förster werden will und wie mir ist, wenn ich auf einem Berg stehe, ob ich da runterspringen will.... Begonnen habe ich mit Prosa, dann eine Zeitlang Gedichte geschrieben, dann wieder Prosa. Im Studium ging es nur um Prosa und Dramatik - mit Gedichten kamen die nicht klar. Also habe ich wieder Gedichte geschrieben. Jetzt ist es wieder selten. Kein Bedürfnis. Wenn es jetzt Gedichte sind, dann immer im Zusammenhang mit Bildender Kunst"
Das Engagement in der Frauenbewegung, mit und an der Frauenzeitschrift "Ypsilon" blieb Intermezzo. "Ich hätte auch in die Politik gehen können. Aber ich habe schnell gemerkt, das ist nicht mein Ding." Von all den hehren Illusionen wären nur der Pragmatismus übriggeblieben und die Projekte. 1992 - "damals bekam man noch leicht eine ABM-Stelle" - kam sie mit der Westberliner Neuen Gesellschaft für Literatur zusammen und ein Projekt in Gang: "Erzählte Geschichte", eine Endlosrecherche, die in etlichen Transformationen bis heute währt. Für "Kriegspfad Berlin 1945 - Moskauer Zeit am Prenzlauer Berg" sammelte sie in einer Projektgruppe Erfahrungen und Zeitzeugnisse und machte sie über Ausstellungen, Führungen und Publikationen sichtbar. Die Lebensinterviews mit den UreinwohnerInnen des Viertels ergaben die Sammlung "Menschen an unserer Rückseite", deren schwierigere Fortsetzung über die 70er und 80er Jahre noch in Arbeit ist (1). Dazu kam ab 1994 die Mitarbeit an der Zeitschrift "Sklaven", bzw. nach deren Spaltung 1998 am "Sklaven-Aufstand", diverse Artikel und Essays, Features für den Rundfunk (MDR) und die Arbeit an einem Roman (2). Seit 1997 arbeitet sie freiberuflich.
Ihre Arbeitsweise nennt sie "einerseits chaotisch, andererseits durchaus geregelt. Ich habe sieben Jahre in einer WG gewohnt, mit noch einer Frau und noch einem Kind. Da ging es wochenweise im Wechsel. Frühmorgens kann ich zu Hause nicht arbeiten. Ich bin eigentlich ein Nachtmensch. Was mir sehr liegt: ich arbeite immer an mehreren Sachen gleichzeitig. Kontinuierlich an einem Stück, das ist selten. Zumal ich noch jobben muß, wegen der Miete... Aber das ist auch gut, spannend - ich möchte nicht am Schreibtisch sitzen und über jemand schreiben, der am Schreibtisch sitzt... Klar, ich beneide die Leute in meinem Alter, ohne Kind, die von einem Aufenthaltsstipendium zum nächsten ziehen und in Ruhe arbeiten können. Aber gut, die Sachen sind dann auch oft danach..."
Befragt nach einem Lebensmotto, wehrt sie ab - die Mottos kommen und gehen und wichtig wäre zur Zeit das Durchkommen. Was aber bleibt? Der ironische Blick vermutlich, auf das Vorläufige aller Zeiten. Humor und Abwehr des Vorgewussten, jeder Art von Fundamentalismus. "Für mich ist es wichtig, daß immer Wissen dahinter steckt. Nicht dahergeredet wird." (Gregor Kunz, 1998)


(1) Durchgangszimmer Prenzlauer Berg, 1999, (2) Moskauer Eis, 2000; Mehr unter: Links

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